Es gibt auch andere Unterschiede

Liebe Meta,
du rennst mit dem, was du geschrieben hast, bei mir offene Türen ein.

(Wobei an diesem schönen Spruch beides stimmt, sowohl das „Rennen“, das metatypische kraftvolle und dynamische, als auch die „offenen Türen“.)
Du scheinst erwartet zu haben, dass ich männlich trotzig oder gar machohaft opponiere. Ist das Misstrauen typisch weiblich? (Wäre naheliegend, da Frauen schließlich „Missen“ sind.) Ich bin, ehrlich gesagt, meistens zu faul, zu misstrauen. Wäre nicht das schon ein wichtigerer Unterschied zwischen Menschen: die energetisch Aufgeladenen einerseits und die, die eher auf das harmonisch Ausgleichende aus sind, was vielleicht nicht nur mit Faulheit, sondern auch mit Feigheit zu tun hat?

Allerdings spricht ein sehr harter Fakt für die tragende Bedeutung des geschlechtlichen Unterschieds. Nur dieser gewährleistet die Fortsetzung des Lebens über eine Generation hinaus. Wenn ich aber bei mir bleibe und in meiner Generation, finde ich andere Unterschiede zwischen Menschen, die mindestens so groß bzw. so wichtig sind wie der zwischen Frauen und Männern. Von der unterschiedlichen Dynamik, respektive Energiegeladenheit habe ich schon geredet. Das ist der Wille, die Führung und Initiative zu übernehmen, und zwar unabhängig von erotischen Kontexten. Er ist verbunden mit der Angst, zu kurz zu kommen, nicht so viel zu sagen und bestimmen zu haben wie andere, angeblich vorzugsweise Männer.

Innerhalb des erotischen Kontextes kann ich mich zuweilen auch noch zur Initiative aufraffen, aber außerhalb davon sieht es bei mir mau aus. Vielleicht hat das auch noch mit einem anderen entscheidenden Unterschied zwischen Menschen zu tun, dem zwischen ihrer Intro- und Extravertiertheit. Ich bin besonders introvertiert, in mich gekehrt, aus einer angeborenen und/oder vererbten Langsamkeit meiner Nervenprozesse heraus. Das führt zu einem hohen Bedürfnis nach Häuslichkeit, auch zu einer besonders hohen Anhänglichkeit an wenige nahe Menschen. „Heimweh nach einem geborgenen Zuhause“ ist für Menschen meiner Art typisch.

Das hat schon meine Tagträume als Kind gekennzeichnet: Ein Haus, das ich mir im tiefen Wald aus dicken Baumstämmen zusammen mit vertrauten Gefährten zimmere. Versteckt gelegen, mit dicken Türen obendrein und mit einem warmen Herd. Das hatte mich auch sehr am „Robinson“ fasziniert, dass er offenbar ähnliche Bedürfnisse hatte. Ich bin mir sicher, dass solche Gedanken und Phantasien Menschen mehr miteinander verbinden als ein gemeinsames Geschlecht.

Wie umgedreht, extravertierte Frauen, die die Offenheit ihrer Heimstätten und ihres Lebens schätzen, die hinaus wollen ins Neue und Fremde, mehr mit anderen extravertierten Menschen werden anfangen können als mit ausgeprägt introvertierten, egal ob sie männlich oder weiblich sind. Es sei denn, es kommt die Erotik dazu, dann kann dieses grundsätzliche Anderssein die geschlechtliche Spannung, die Lust aufeinander und das Bedürfnis nacheinander sogar verstärken. Das wäre dann aber ein Sonderfall, der, wenn nach „Jahr und Tag“ der unerotische Alltag eingekehrt ist, nicht mehr „funktionieren“ wird. (Aber vielleicht haben bis dahin beide durch die Triebkraft ihrer Sexualität lernen können, mit ihrer Unterschiedlichkeit umzugehen, so dass diese Gewohnheit dann aus sich selbst heraus ihr Leben weiter trägt.)

Oder nehmen wir noch einen anderen wichtigen vererbten Unterschied zwischen Persönlichkeiten: Die Feldabhängigkeit bzw. Unabhängigkeit ihres Erkennens. Typen wie ich sehen eher das große und ganze „Feld“, seine bestimmenden Konturen, die es in seiner Gänze durchziehen. Andere sind eher analytisch. Ihnen fallen viele einzelne Kleinigkeiten auf. Sie erkennen genauer, aber enger. Feldabhängige sehen zwar das Große und Ganze, übersehen aber wichtige Details.

Nun gut, die meisten befinden sich eher in der Mitte, wie auch im Verhältnis Extra- und Introversion. Aber jeweils 5 Prozent sind nach der Gausschen Kurve der Normalverteilung ausgeprägt hinsichtlich eines Pols und dann wird diese Besonderheit schon wichtig, so wie der Unterschied zwischen männlich und weiblich es ist.

Das, was du, liebe Meta, als typisch weiblich ansiehst – „Frauen sind notgedrungen Meisterinnen in der Kunst geworden, sich zu arrangieren, Unterwürfigkeit zu mimen und dem eigenen Willen durch die Hintertür Eintritt zu verschaffen“ – war in einer entscheidenden Phase meines Lebens auch ganz typisch für mich: als ich nach der Scheidung von der Mutter meiner Kinder wie auf dem Schleudersitz saß und um jeden Tag kämpfte, den ich bei meinen Kleinen zu Hause bleiben konnte. Vielleicht ist/war es für einen Mann sogar eine größere Leistung, sich in dieser „Kunst“ zu üben, als für eine Frau, denn diese konnte, wenn sie es tat, sich in ein vorgeprägtes Muster fügen, in das der biologischen Mütterlichkeit.

Meine biologische Väterlichkeit reichte in eine soziale Mütterlichkeit hinein. Das ist jedenfalls meine Sicht der Dinge. Alles, was zählt, ist, ob Kinder Geborgenheit erleben, ein sicheres Zuhause-Gefühl. Selbst die extravertierten brauchen das am Anfang ihres Lebens. Mein Vater jedenfalls konnte es nicht fassen, dass ich nicht „im Westen“ blieb, als ich zum Ende der DDR hin die Genehmigung erhielt, ihn zu seinem Geburtstag zu besuchen. Meine Begründung, dass ich meine Kinder nicht mit ihrer biologischen Gebärerin allein lassen könne, weil ich deren Mütterlichkeit vermisste, verstand er nicht.

In Brechts kaukasischem Kreidekreis heißt es nicht: „Die Kinder den Müttern“, sondern: „Die Kinder den Mütterlichen, damit sie gedeihen“ – und das können auch Väter sein. Das sind Menschen, egal, ob männlich oder weiblich, biologisches oder soziales (Groß)Elternteil, die die Mütterlichkeit in sich tragen, entweder als Teil ihrer Väterlichkeit oder weil sie sowieso die Mütter sind.

In Faust II steht am Ende, möglicherweise als Quintessenz des ganzen Faust: „Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan.“ Kurz davor lässt Goethe Mephistopheles von Engel-Bengeln, so bezeichne ich sie jetzt hier einmal, schwärmen:

„Ihr scheltet uns verdammte Geister

Und seid die wahren Hexenmeister;

Denn ihr verführet Mann und Weib. –

Welch ein verfluchtes Abenteuer!

Ist dies das Liebeselement?

Der ganze Körper steht in Feuer,

Ich fühle kaum, dass es im Nacken brennt.-

Ihr schwanket hin und her, so senkt euch nieder,

Ein bisschen weltlicher bewegt die holden Glieder;

Fürwahr, der Ernst steht euch recht schön;

Doch möcht ich euch nur einmal lächeln sehn!

Das wäre mir ein ewiges Entzücken.

Ich meine so, wie wenn Verliebte blicken:

Ein kleiner Zug am Mund, so ist’s getan.

Dich, langer Bursche, dich mag ich am liebsten leiden,

Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,

So sieh mich doch ein wenig lüstern an!

Auch könntet ihr anständig-nackter gehen,

Das lange Faltenhemd ist übersittlich –

Sie wenden sich – von hinten anzusehen!-

Die Racker sind doch gar zu appetitlich!

Das ist Eros. Das ist Weiblichkeit im jungen Männlichen: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“, nicht die Frauen, sondern das Weibliche, das sich auch in Jungen und Männern findet.

Karl

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